Wie der Toronto Star mit Hilfe von KI Live-Diskussionen zum Kernelement seiner Audience Engagement Strategie macht
Gastbeitrag von unserem US-Trendscout Ulrike Langer
Eines der seit vielen Jahren ungelösten Probleme mit Audience Engagement sind Trolle, Spam und ein generell niedriges Diskussionsniveau, vor allem, wenn Nutzer unter sich bleiben. Doch mit Hilfe von KI kann konstruktives Audience Engagement in Echtzeit gelingen, wie die kanadische Tageszeitung Toronto Star (TS) mit ihrer Q&A-Serie zu einem spektakulären Kriminalfall bewies.
Der Toronto Star (TS) ist mit 25 Digitalausgaben und einer akkumulierten Print- Digitalreichweite von wöchentlich sechs Millionen Usern einer der größten Newspublisher in Kanada. Das Unternehmen entschied sich vor anderthalb Jahren seine niedrig-performenden Kommentarbereiche unter den Beiträgen nicht einfach abzuschaffen, sondern mit Hilfe von KI neue Wege in puncto Audience Engagement zu gehen. TS nutzte dafür die Audience Engagement-Agentur Viafoura, die KI einsetzt, um mehr als 90 Prozent aller nutzergenerierten Kommentare und Beiträge vollautomatisiert zu filtern und gegebenenfalls freizuschalten, zu unterdrücken, als zweifelhaft oder auch als besonders wertvoll hervorzuheben. Da all das KI-gestützt unabhängig vom Kommentarvolumen in Echtzeit geschieht, lassen sich digitale Live-Events besser mit Audience Engagement kombinieren.
Klare Zielsetzung der neuen Strategie
Ein wichtiges Element der neuen Audience Engagement Strategie beim TS sind regelmäßige Live-Sessions mit Reportern und Lokalprominenten, die Nutzerfragen beantworten (Q&A). Im Vorfeld legte ein interdisziplinäres Team ein Playbook mit konkreten Handlungsschritten und Schlüsselmetriken fest, anhand derer der Erfolg aus der Perspektive von Produkt, Technik, Audience Engagement und Marketing gemessen werden konnte. Mit der neuen Strategie sollten laut TS folgende Ziele erreicht werden:
- Mehr Audience Engagement durch einen direkten Dialog zwischen Reportern und Nutzern
- Mehr Themenideen und wertvollen Inhalte durch direktes Feedback von Nutzern
- Bessere Chancen Gelegenheitsnutzer, die sich für die Q&A-Themen interessieren anzuziehen und zu konvertieren
- Mehr First-Party-Daten durch die aktive Teilnahme von registrierten Nutzern an den Q&A-Sessions
Zum Auftakt veranstaltete der TS eine Q&A-Session mit seinem Investigativreporter, Podcaster und Bestsellerautor Kevin Donovan, der für seine Beiträge über ein ermordetes kanadisches Milliardärs-Ehepaar („The Billionaire Murders”) mehrfach ausgezeichnet wurde. Der Stoff wurde außerdem als True-Crime-Serie von HBO verfilmt. Die Q&A-Sessions standen auch Nicht-Abonnenten offen, aber es gab eine Registrierungspflicht.
Die Event-Serie mit Kevin Donovan war in jeglicher Hinsicht ein Erfolg. Aus den erwarteten zehn Fragen und Antworten wurden 110 Fragen innerhalb von drei Stunden. Und aus einer geplanten Live-Session mit dem Starreporter wurde eine Serie von sechs. Seitdem stehen die Sessions als langfristiger Content auf der Website. Die Überschrift wurde dazu von live auf zeitlos geändert und besonders wertvolle Nutzerfragen und Kommentare wurden hervorgehoben.
Messbarer Erfolg
Die erhobenen Metriken der Live-Events zeigten im Vergleich zu den Durchschnittswerten der früheren Kommentarspalten beim TS:
- Doppelt so viele Erstkommentatoren / Erstregistrierungen
- 15mal so viele Kommentatoren pro Seite
- 25mal so viele Kommentare pro Seite
- 5mal so viele Likes
- 16mal so lange Verweildauer
Weitere Learnings: Leidenschaftliche Diskussionen rund um „The Billionaire Murders”, die früher eher auf Facebook und Reddit stattfanden, wurden auf die eigene Website transferiert. Gelegenheitsnutzer, die sich normalerweise nicht registriert hätten, wurden über die Live-Kommentarfunktion animiert ihre Daten zu hinterlassen und konnten auf weitere Events und Inhalte hingewiesen werden. Aus seiner Nutzerforschung weiß der TS, dass neue Kommentatoren 45mal häufiger ein Abo abschließen wie Gelegenheitsnutzer, die nicht kommentieren. „Dieser Kontakt mit neuen Nutzern ist ein wichtiger Zwischenschritt im Funnel vor der Gewinnung von Neuabonnenten”, so Ashley Hawley, Produktchefin beim TS.
Neues Community-Gefühl
Für die Nutzer des TS erzeugt der aufgewertete Kommentarbereich ein neues Community-Gefühl mit intrinsischem Belohnungssystem. Anstatt in der Masse belangloser oder negativer Kommentare unterzugehen, bekommen wertvolle Meinungsäußerungen nun die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Wer etwas Konstruktives und Interessantes zu sagen hat, kann unmittelbar (ohne Zeitverzögerung durch Freischaltung) auf Augenhöhe und störungsfrei mit Redakteuren und weiteren engagierten Nutzern reden. Diese anspruchsvollere Diskursebene schätzen vor allem diejenigen Nutzer, die für das Community-Building unverzichtbar sind: Menschen, die sich leidenschaftlich für bestimmte Themen interessieren, sich darin besonders gut auskennen und die sich nicht im Ton vergreifen.
Ein Nebeneffekt: Nicht nur der Vertrieb und die Nutzer, sondern auch die Anzeigen profitieren vom KI-gestützten und aufgewerteten Kommentarformat. Der TS schaltet Werbebanner zwischen die Kommentare und hat inzwischen auch Sponsoren für einzelne Live-Q&A-Sessions gewonnen.